VALIE EXPORT - Ikone und Rebellin. Ein Film von Claudia Müller. Ab April 2016 auf DVD - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 29.06.2016


VALIE EXPORT - Ikone und Rebellin. Ein Film von Claudia Müller. Ab April 2016 auf DVD
Laura Seibert

In der feministischen Aktionskunst gilt die Professorin, Medien- und Performancekünstlerin sowie Filmemacherin spätestens seit 1968 als mutige Pionierin, ihre Performances sind immer noch hochaktuell. Die Portraitfilmerin Claudia Müller rückt in ihrem filmischen Essay auch...




.... die Schriftstellerin Elfriede Jelinek, sowie die Künstlerinnen Marina Abramovic, Carolee Schneemann und Kiki Smith mit in den Blick.

Einfach ist es nicht, VALIE EXPORTS künstlerisches Medium zu bestimmen – dafür sind ihre Arbeiten zu vielfältig:

Sie umfassen Video Environments, digitale Fotografie, Installationen, Body Performances, Spielfilme, Experimentalfilme, Dokumentarfilme, Expanded Cinema, konzeptuelle Fotografie, Körper-Material-Interaktionen. Persona Performances, Laser Installationen, Objekte, Skulpturen, Texte zur zeitgenössischen Kunstgeschichte und Feminismus sowie Musik. VALIE EXPORT gilt als eine der wichtigsten internationalen Pionierinnen konzeptueller Medien-, Performance- und Filmkunst. In ihrem künstlerischen Werk entstehen inter- und - und transmediale Projekte.

Der eigene Körper wird zum Kunstobjekt, zum Subjekt, zur Projektionsfläche, zur Abgrenzung. Oft wird sie als Medienkünstlerin bezeichnet. Das Filmportrait von Claudia Müller stellt die Künstlerin in ihrer Entwicklung vor, zeigt die Bedeutung im internationalen Kontext auf, lässt sie zu Wort kommen. Ihre frühen Arbeiten, durch die sie bekannt wurde und die die reaktionäre Gesellschaft schockierten, sind längst legendär. Ihre Kunst hat stets eine politische Botschaft, weibliche Freiheit erkämpft sie auf außergewöhnlichen und mutigen Wegen.

Auf der Internetseite der Künstlerin ist zu lesen:
"Der Körper ein Labyrinth der
Trauer eingeschlossen in das
schwarze Echo der Tränen verlässt
das Ich eine Nomadin zwischen den
unsichtbaren Grenzen Kälte/Leben
– Wärme/Tod Angst vor den
wiederholten Bewegungen der
Wiederholung."
(1983 Archiv VALIE EXPORT)

Eine Pionierin der feministischen Kunst

Sie schuf Werke, die heute zu den Klassikern der feministischen Kunst gehören. Ende der 60er Jahre ging sie mit der "Aktionshose: Genitalpanik" (1969) ins Kino und ließ sich danach mit einem Maschinengewehr fotografieren – das besondere der Hose war, das sie im Schrittbereich ausgeschnitten war und EXPORT so den Blick auf ihre Vagina freigab. Sie zwang andere Menschen dazu, weibliche Genitalien in einem anderen Kontext zu sehen als in für Männer produzierter Pornographie. Den männlichen, fremdbestimmten Blick auf Frauen versuchte sie in ihren Arbeiten immer wieder zu entlarven und in seiner Absurdität aufzuzeigen.

Mit dem "TAPP und TASTKINO" von 1968 holte sie die sonst im Verborgenen agierenden Voyeuristen in die Öffentlichkeit, in die Aufmerksamkeit, in die Beobachtung. Dafür stellte sie einen Kasten her, der einem Fernsehapparat glich, welchen sie vor ihrem Oberkörper trug. Ihre Brüste darin anzufassen erlaubte sie jeder Person auf der Straße – für eine begrenzte Zeit. Das sonst medial ausgeschlachtete – visuelle – Objekt, das der weiblichen Brüste, blieb den Blicken verborgen, gefilmt wurde hingegen die Person, die die Hände in den Kasten steckte.
Die Objektivierung der Brüste wurde laut Export in dem Moment unmöglich gemacht, in dem sie dem Blick entzogen wurden. Nur visuelle Aufmerksamkeit ermöglicht Objektivierung. Der eigene Körper ist für VALIE EXPORT häufig Teil ihrer Kunst. "Die Auseinandersetzung mit dem Körper ist so wichtig, weil durch ihn sehr viel ausgedrückt werden kann. Vieles kann durch den eigenen Körper sogar am besten vermittelt werden. Er ist immer der Gegenstand, der repressiv eingeschätzt und behandelt wird," sagte sie im Interview mit AVIVA-Berlin anlässlich ihrer Ausstellung "Bilder der Berührung" in der Galerie ZAK | BRANICKA im Jahr 2013.

Mit "VALIE EXPORT - Ikone und Rebellin" liegt erstmals eine umfassende Dokumentation in acht Kapiteln über die godmother of performance art auf DVD vor:

  • 1 Filmstart / (Ãœber die) Wahrnehmung
  • 2 expanded cinema
  • 3 Wien – Körperkunst 1
  • 4 Linz – Kindheit und Jugend
  • 5 Wiener Kunstszene in den 60er Jahren
  • 6 Körperkunst 2
  • 7 Film – Medienkunst – Performance
  • 8 Späte Anerkennung ("Das gibt´s ja nicht")

    Zu Wort kommen in dem Filmportrait von Claudia Müller u.a. Kurator Stewart Comer, Karola Kraus, Direktorin des mumok Wien und Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig Köln.
    In Interviews werfen Kolleginnen und Freundinnen, wie die Künstlerin Carolee Schneemann, sowohl einen persönlichen als auch einen künstlerischen Blick auf VALIE EXPORT. Schneemann und EXPORT freundeten sich unmittelbar während ihres ersten Treffens Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre an, bei Zigaretten in einer kleinen Eck-Wohnung. Sie waren anders, es gab noch kein Umfeld für ihre Themen und Arbeiten. Körperkunst, wie die radikalen Künstlerinnen sie realisierten, löste zahlreiche Skandale aus. Die selbstbestimmte Auseinandersetzung mit dem Körper, sexuellem Begehren und Lust – die Inszenierung von Weiblichkeit fern einer männlich-dominierten Perspektive – brach mit allen Konventionen. Vor fünfzig Jahren teilten sie eine "ästhetische Isolation", heute ist ihr Werk ein wichtiger Teil der zeitgenössischen Kunst.

    Körperliche Grenzerfahrungen

    "Wenn ich mir selbst Schmerz zufüge, und mich das von der Angst vor Schmerz befreit, dann ist Schmerz o.k." zitiert die Künstlerin Marina Abramović VALIE EXPORTs Beziehung zum selbstzugefügten Leid, das die Wahl-Wienerin in Performances darstellt. Dabei stellt EXPORT den Schmerz nicht schauspielerisch dar, sie erleidet ihn meist regungslos. Höchst wirksam erzeugt sie dadurch Unbehagen und Leid bei der ZuschauerIn, wirft Fragen auf, wenn sie sich beispielsweise in der Performance "…Remote… Remote" (1973) die Nagelhaut mit einem Messer aufreisst und dabei filmen lässt. Sie sitzt dabei vor einer Polizeifotografie, die zwei Kinder zeigt, welche von ihren Eltern missbraucht wurden. Schmerz und Verletzung will die Künstlerin sichtbar machen, zeigen, wie präsent sie im Leben sind, obwohl in der Vergangenheit erlitten. Ist die ZuschauerIn dieser Performance eine sadistische Voyeuristin? Oder birgt die nur schwer zu ertragende "Selbstverstümmelung", wie die Künstlerin Kiki Smith es ausdrückt, auch Identifikationspotenzial? VALIE EXPORT bricht mit Sehgewohnheiten, geschont wird ihr Publikum nie.

    Körperliche Freiheit und Selbstbestimmung ziehen sich als Leitmotive durch ihre Text- und Performance-Arbeiten, wie in dem folgenden Gedicht:

    "Geschrien habe ich mit der Stimme, die mir gehört
    Gebissen habe ich mit den Zähnen, die mir gehören
    Gekratzt habe ich mit den Nägeln, die mir gehören
    Geweint habe ich mit den Tränen, die mir gehören
    Gesehen habe ich mit den Augen, die mir gehören
    Gedacht habe ich mit den Gedanken, die mir gehören
    Gelacht habe ich mit dem Lachen, das mir gehört
    Geküsst habe ich mit dem Mund, der mir gehört
    Geschlafen habe ich mit den Träumen, die mir gehören
    Das ist das Leben, das mir gehört"
    (VALIE EXPORT, aus: Gedichte 1966)

    Experimenteller Film

    In der Zusammenarbeit mit Elfriede Jelinek entstand u.a. ein essayistisch-dokumentarisches Filmformat: "Elfriede Jelinek. News from Home. 18.8.88". Jelinek, auf einer Liege vor dem Fernseher ausgestreckt, kommentiert den Fernsehkommentator der Nachrichten. Es entsteht ein Kommentar des Kommentars. "Also ohne Polizei würde das nicht passieren," lautet Jelineks Einschätzung einer missglückten Geiselbefreiung durch die Polizei. In dieser essayistischen Doku spielt EXPORT mit mindestens 3 Ebenen: Mit dem laufenden Fernseher, Jelineks Kommentar im Kamerabild und der ZuschauerIn.

    Internationale Resonanz

    Der "ästhetischen Isolation" der 60er und 70 er Jahre ist EXPORT mittlerweile entkommen, wenn auch die Würdigung ihres Werkes sehr spät kam. Doch ihre Werke werden und wurden in zahlreichen Ausstellungen und Publikationen gezeigt. Am 11. November 2005 führte Marina Abramović im Solomon R. Guggenheim Museum in New York die Performance "Aktionshose: Genitalpanik" von VALIE EXPORT erneut auf. Die Performance ist 2005 ebenso aktuell wie 1969.

    Nachdem EXPORT auf internationaler Ebene bereits Anerkennung erfahren hat – das MoMA oder die Tate Modern sammeln ihre Arbeiten – werden nun auch in Österreich Bemühungen sichtbar, der Künstlerin einen Platz in der Öffentlichkeit zu verschaffen. In ihrer Heimatstadt Linz wurde in diesem Sinne das VALIE EXPORT CENTER begründet, das 2017 in der früheren Tabakfabrik eröffnet werden wird. Das Lentos Kunstmuseum Linz erfährt mit dem Ankauf des VALIE EXPORT Archivs seine größte Sammlungserweiterung.

    In diesen Tagen ist VALIE EXPORTs Name zudem in den Medien sehr präsent: Am 24. Juni 2016 wurde die Schweizer Performance-Künstlerin Milo Moiré verhaftet, als sie auf dem Trafalgar Square in London eine Variation des "Tapp- und Tastkinos" als Hommage an VALIE EXPORT aufführte. Dabei lenkte sie die Aufmerksamkeit durch einen verspiegelten Rock verstärkt auf die ZuschauerInnen und TasterInnen. Für sexuelle Selbstbestimmung tritt sie ein, indem sie den Kasten, den VALIE EXPORT sich um den Oberkörper schnallte, als Trapez-förmigen Rock weiterentwickelt hat. Sie lässt PassantInnen ihre Vagina für 30 Sekunden berühren – oder ihre Brüste für 5 Sekunden. Dabei beobachtet sie die TasterInnen sehr aufmerksam, ihre Gesichter, Hände und Bewegungen werden gefilmt. Neben VALIE EXPORT sind auch Marina Abramovic und Carolee Schneemann Inspirationsquellen der in Düsseldorf lebenden Künstlerin.

    AVIVA-Tipp: Die Regisseurin Claudia Müller hat mit ihrem filmischen Portrait "VALIE EXPORT - Ikone und Rebellin" eine facettenreiche Femmage geschaffen, die vor allem zeigt: VALIE EXPORT ist eine echte Rebellin, voller Mut und Unerschrockenheit. Sie ist Ikone, die godmother of performance art und eine zutiefst menschliche Künstlerin.

    VALIE EXPORT - Ikone und Rebellin
    Regie: Claudia Müller
    AT 2015
    Mit: VALIE EXPORT, Kiki Smith, Carolee Schneemann, Marina Abramovic uvm.
    DVD
    Laufzeit: 52 + 26 Min. = 78 Min
    Deutsche und englische Fassung
    absolut MEDIEN, erschienen April 2016
    Extras
  • Ausstellungsrundgang: "Zeit und Gegenzeit" 2010 / 2011, Belvedere Museum Wien / Lentos Museum Linz, Länge: 11´22"
  • Ausstellungsrundgang VALIE EXPORT – ARCHIV, Kunsthaus Bregenz 2011, Länge 5´27"
  • Adjungierte Dislokationen 1973 (stumm), VALIE EXPORT, Länge 5´24"
  • Trailer VALIE EXPORT - IKONE UND REBELLIN, Länge: 4´22"
    Mehr Infos unter: absolutmedien.de

    Zur Künstlerin: VALIE EXPORT wurde 1940 in Linz, Österreich geboren. Nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule in Linz, 1956 bis 1959, absolvierte sie von 1960 bis 1964 die Höhere Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie, Wien. 1967 gab sie sich den Namen VALIE EXPORT als künstlerisches Konzept und Logo. Sie war 1967 Mitgründerin der Austrian Filmmakers Cooperative und nahm an vielen internationalen Ausstellungen teil, u. a. an der Documenta 6, 1977, sowie der Biennale di Venezia 1978 und 1980 im Österreichischen Pavillon. VALIE EXPORT unterrichtete an zahlreichen Institutionen wie dem Art Institute in San Francisco, der University of Wisconsin, Milwaukee/USA, und der Hochschule der Künste, Berlin. 1995/96 bis 2005 war VALIE EXPORT Professorin für Multimedia-Performance an der Kunsthochschule für Medien Köln. Die Künstlerin erhielt 1995 den Skulpturenpreis der Generali Foundation und 2000 den Oskar Kokoschka Preis. 2009 war VALIE EXPORT Cokommissärin des Österreich-Pavillons bei der Biennale in Venedig. 2011 erhielt sie den Wiener Frauenpreis. VALIE EXPORT lebt in Wien. (Quelle: absolutmedien)
    VALIE EXPORT im Netz:
    www.valieexport.at

    Weitere Informationen:

    Die Journalistin und Regisseurin Claudia Müller im Netz:
    phlox-films.de
    Bekannt ist die Regisseurin für filmische Portraits, wie von "Shirin Neshat" (2010) oder "About Jenny Holzer" (2009). Sie drehte die Sendung "Art Clash" (2011) für zdf.kultur und "Das Universum der Künstlerin Kiki Smith" (2014) für arte.

    Die Performance-Künstlerin Milo Moiré im Netz:
    www.milomoire.com

    Die Meldung über Milo Moirés Verhaftung in dem Schweizer Newsportal 20 minuten:
    www.20min.ch

    Das Interdisziplinäre Wissenschaftsportal, das dem Thema "Stimme bei VALIE EXPORT, Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth" gewidmet ist:
    ach-stimme.com/

    Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

    Interview mit VALIE EXPORT
    Ihre "Aktionshose: Genitalpanik" ist Legende. Mit AVIVA sprach die Kunstschaffende über ausgewählte Werke, das Verhältnis von Kunst und Politik, aktuelle Formen feministischen Protests, Elfriede Jelinek und ihre eigene Utopie. (2013)

    re.act.feminism #2 – a performing archive. Ausstellung in der Akademie der Künste
    Die Kuratorinnen Bettina Knaup und Beatrice Ellen Stammer rücken queer-feministische Performancekunst der letzten 50 Jahre ins Rampenlicht. Unter den Künstler_innen sind Größen wie Yoko Ono, Marina Abramovic oder VALIE EXPORT, aber auch jüngere Performer_innen wie Mary Coble aus Dänemark oder Ghazel aus dem Iran finden hier eine Plattform: Das Archiv zeigt eine Pluralität an Generationen, Regionen, Kulturen und Perspektiven. (2013)

    Marina Abramovic: The Artist Is Present - ein Film von Matthew Akers. Ab 17. April 2013 auf DVD, Blu-ray und VoD
    Was daran ist Kunst, wenn eine Frau mitten im Museum of Modern Art in New York den ganzen Tag auf einem Stuhl sitzt? Von März bis Mai 2010 war die serbische Performancekünstlerin in den Räumen des MoMA anzutreffen – ist das jetzt Kunst, oder kann das weg? (2012)

    Road Atlas - Straßenfotografie von Helen Levitt bis Pieter Hugo
    Straßen sind öffentliche Räume, Orte des Zusammentreffens oder aneinander Vorbeidriftens. Bewegung und Statik sind die beiden Pole zwischen denen das urbane Leben seinen Lauf nimmt: Der "Road Atlas" der DZ BANK Kunstsammlung vereint einhundertsechsundsechzig Fotografien von neunundzwanzig KünstlerInnen, unter ihnen VALIE EXPORT, aus siebzig Jahren Street Photography. (2011)

    Nino Haratischwili - Juja
    Die Theaterregisseurin Nino Haratischwili hat sich für ihren Debütroman "Juja" eine wahre Begebenheit vorgenommen, die sie zu einem spannenden Werk verarbeitet. Die Geschichte der mythischen Gestalt Danielle Sarréra wird von Haratischwili in einer kunstvollen Mischung von verschiedenen Zeitebenen, Erzählweisen und Perspektiven neu erzählt. Mit Zeichnungen der feministischen Medienkünstlerin VALIE EXPORT. (2010)

    re.act.feminism – performancekunst der 1960er und 70er jahre heute
    Internationale feministische Performanceart wurde vom 13.12.2008 bis 08.02.2009 in der Berliner Akademie der Künste in Form von Ausstellung, Videoarchiv, Tagung und Live Performances präsentiert. Mit VALIE EXPORT. (2008)

    Elfriede Jelinek - ein Porträt
    Ein gelungener Lesegenuß über die Literatur-Nobelpreisträgerin. Das AutorInnenpaar Mayer / Koberg beleuchtet die Prosa-Provokatorin, die keine politische Polemik scheut. (2006)


    Kunst + Kultur

    Beitrag vom 29.06.2016

    AVIVA-Redaktion